„Vertuschungen“ und „Lügen“ müssen vor Gerichtsentscheidungen öffentlich werden
Derzeit ist es ein gängiges Prinzip der Justiz, dass Blogger, Redakteure oder Journalisten einen Strafbefehl erhalten, wenn sie über Missstände oder Vertuschungen berichten, bevor das zuständige Gericht über den Fall entschieden hat. In § 353d Strafgesetzbuch ist geregelt, dass verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft wird. Nach den Vorstellungen von FragDenStaat-Autor Arne Semrott und dessen Verteidiger, sind gerade solche Veröffentlichungen wichtig, um die Öffentlichkeit rechtzeitig auf „Lügen“ und „Unwahrheiten“ aufmerksam zu machen, damit sie vor Gericht nicht vertuscht werden können. Daher plädierte Arne Semsrotts Verteidiger, Dr. Lukas Theune, die Strafnorm des § 353d anzupassen, da dieser Paragraph die Pressefreiheit einschränke. Wegen seiner Veröffentlichungen erhielt Arne Semrott am Landgericht Berlin unter dem Vorsitz von Richter Bo Meyer am 18.10.2024 eine Verwarnung. Bo Meyer entschied, das Verfahren auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entscheiden zu lassen.
Laut Berichten von LTO haben Semrotts drei Verteidiger in ihren Schlussplädoyers weitere Argumente für die Anpassung des „§ 353d StPO“ in die Waagschale geworfen. Dr. Benjamin Lücke sehe keinen Grund, dass das Ansehen der Justiz in irgendeiner Weise bei einer frühzeitigen Veröffentlichung beschädigt werde, um solche Beschlüsse unter Strafe stellen zu müssen. Die Pressefreiheit gebiete, dass man gerade „schlecht begründete“ Beschlüsse im laufenden Verfahren kritisieren dürfe. Rechtsanwältin Hannah Voss habe in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, wonach ein Veröffentlichungs-Totalverbot unzulässig sei und eine Abwägung stattfinden müsse.
Da Richter Meyer allerdings der Rechtsprechung des EGMR und einem Pauschalverbot der frühzeitigen Veröffentlichung von amtlichen Dokumenten eine Absage erteilte, allerdings das Abwägungsgebot irgendwie berücksichtigen wollte, obwohl die Gesetzgebung des § 353d gar keine Abwägung verlangt, weil die Frage der Tatbestandsmäßigkeit gerade nicht auf den Einzelfall ankommt. Daher habe sich die Kammer einiges einfallen lassen. Immerhin stellte sie klar, dass sie Semrotts Abwägungskriterien des EGMR in den meisten Punkten nicht für sonderlich strafwürdig gehalten habe. All diese Punkte habe das Gericht aber auch berücksichtigen wollen und daher eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StP0 wegen geringer Schuld vorgeschlagen. Darauf seien Semrotts Verteidiger allerdings nicht eingegangen. Denn sie wollen ja – gerade unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) – eine Klärung durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erreichen. Und sie wollen von dieser Kammer eine Entscheidung.
Nun zieht Semrott mit seinen Strafverteidigern vor den BGH, weil er diesen dogmatischen Ansatz klären muss. Deshalb wird Semsrott auch Revision gegen das Urteil einlegen. Wie er selbst gegenüber LTO äußert, hätte ihn das Landgericht Berlin freisprechen müssen. Das habe es nicht getan. Da es keinen Freispruch für ihn gegeben habe, biete das Urteil Gelegenheit, dass der Bundesgerichtshof dies nachholen könne.
Ob sich der dann zuständige BGH-Strafsenat der Auffassung des VI. Zivilsenats des BGH anschließt, wird sich noch zeigen. Der hatte nämlich entschieden, dass die Bestimmung in Konflikt mit der Meinungs- und Pressefreiheit steht und sich für eine eingeschränkte „konventionskonforme“ Auslegung der Strafnorm ausgespochen.
Gespannt sind inzwischen auch viele Journalistinnen und Journalisten wie der BGH-Strafsenat künftig den § 353d StPO auslegen wird.
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