Fischereiexperte Christian Wolter vom Leibniz-Institut fordert Konsequenzen
Mainz. Das Fischsterben in der Oder im vergangenen Sommer wurde nach Untersuchungen der Umweltorganisation Greenpeace durch Abwässer der Bergbauindustrie ausgelöst. Das geht aus einem Greenpeace-Report hervor, der dem Tagesspiegel und dem SWR vorliegt. Im August war ein erheblicher Teil des Fischbestandes und zahlreiche weitere Tierarten verendet. Lange Zeit war unklar, was zu der Umweltkatastrophe geführt hat. Wissenschaftler von Greenpeace Polen haben in den letzten Wochen mehrfach Wasseranalysen im Süden Polens durchgeführt. Laut dem Abschlussreport sind die Verursacher mehrere Betriebe der Steinkohle-Industrie in der Region Schlesien, die in großen Mengen Salzwasser in die Zuflüsse der Oder einleiten. Gewässerexperten waren sich schon länger einig, dass ungewöhnlich hohe Salzgehalte im Sommer zur Vermehrung einer giftigen Algenart (Prymnesium Parvum) geführt hatten, die das Fischsterben auslöste. Woher das Salz kam, war bisher unklar.
Im Fokus der aktuellen Greenpeace-Untersuchungen standen die Zuflüsse der Oder, in die Bergbau-Betriebe ihre Abwässer einleiten. In der Region gibt es zahlreiche Steinkohle-Minen. Diese pumpen unentwegt sehr große Mengen Wasser aus den Stollen ab, damit dort gearbeitet werden kann. Es ist bekannt, dass dieses „Pumpwasser“, je nach Region, sehr salzhaltig sein kann.
Die höchsten Salzkonzentrationen dokumentierte Greenpeace in den Oderzuflüssen Klodnica, Bierawka und Bielszowicki an denen mehrere Steinkohleminen liegen. Hierbei ergab sich, laut dem Untersuchungsbericht, ein eindeutiges Bild. Während oberhalb, also flussaufwärts, die Salzgehalte sehr niedrig lagen, stiegen die Salzgehalte ab den Einleitungsstellen der Minenbetriebe massiv an. Die Salzkonzentration war an mehreren Stellen sogar höher als in Meerwasser. Die Toxikologen von Greenpeace sind sich sicher, dass diese Salze zu der massenhaften Vermehrung der giftigen Algen geführt haben. Christian Wolter, Fischökologe des Leibniz-Institutes für Gewässerökologe und Binnenfischerei (IGB) begrüßte gegenüber dem SWR die Greenpeace-Untersuchung: „Es war wichtig, dass Proben an den Einleitungsstellen genommen wurden, um die Verursacher klar zu identifizieren. Damit bestätigen die Ergebnisse dieses Berichts, worauf das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei schon lange hinweist: Die optimalen Wachstumsbedingungen für die giftige Alge, also die hohe Salzkonzentration in der Oder, wurden vom Menschen verursacht.“
Das größte, polnische Bergbauunternehmen „Polska Grupa Górnicza“ (PGG), das die meisten Minen im Einzugsgebiet betreibt, beantwortete Fragen des SWR trotz mehrfacher Nachfrage nicht. Das Unternehmen „JSW SA“, das dort eine Mine betreibt, teilte auf Anfrage mit: „Die Einleitung von Salzwasser in die Umwelt basiert auf Genehmigungen der zuständigen Behörden. Es gab zahlreiche Überprüfungen, bei denen keine Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden.“ Das polnische Umweltministerium beantwortete konkrete Fragen des SWR ebenfalls nicht – teilte lediglich allgemein zu ihren Gewässerkontrollen mit: „Das zentrale Forschungslabor für Umweltschutz führt Tests und Messungen einschließlich Probenahmen zum Zwecke der Kontrolltätigkeit und der staatlichen Umweltüberwachung durch. In diesem Rahmen werden derzeit zweimal wöchentlich an 20 Mess- und Untersuchungsstellen Proben des Oderwassers entnommen.“Grenzwertüberschreitungen beim Salzgehalt finden sich auch in öffentlich verfügbaren Messergebnissen polnischer Behörden. Dazu schreibt das polnische Umweltministerium, welches zu ähnlichen Ergebnissen kommt, wie Greenpeace:„Die höchsten Salzgehalte werden im Oberlauf des Flusses beobachtet, wo unterirdisches Wasser aus dem Steinkohle-Bergbau eingeleitet wird.“
Dietrich Borchardt, Hydrobiologe des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), warnt schon länger, dass die Oder „chronisch krank“ sei: „Was die Oder jetzt braucht ist eine konsequente Überwachung der Einleitungen gepaart mit weiteren Maßnahmen zur Stärkung der Widerstandskraft des Flussökosystems. Dass sich so Flüsse erholen können, haben wir auch schon bei anderen schweren Fällen, wie beispielsweise dem Rhein, gesehen.“
Greenpeace Polen warnt davor, dass sich solch eine Umweltkatastrophe wiederholen könnte. Zudem seien von den massiven Salzwassereinleitungen der Bergbauindustrie nicht nur die Oder, sondern auch die Weichsel massiv betroffen. In seinem Abschluss-Report fordert Greenpeace daher die polnischen Umweltbehörden zum Handeln auf. Es müssten sofortige Umweltprüfungen bei den Bergbaubetrieben durchgeführt, die Abwassermengen reduziert und Entsalzungsanlagen eingebaut werden.
Ob und wie die polnischen Umweltbehörden nun handeln, ist noch unklar, da erst heute die Untersuchungsergebnisse von Greenpeace Polen veröffentlicht wurden. Fischereiexperte Christian Wolter vom Leibniz-Institut fordert Konsequenzen: „Wir hoffen, dass hinter den Kulissen auf politischer Ebene bereits an Lösungen wie Rückhaltebecken oder der Festlegung eines ökologisch verträglichen Grenzwertes auf wissenschaftlicher Basis gearbeitet wird. Die Einleitungen müssen dringen reduziert werden, damit sich diese Umweltkatastrophe in diesem Sommer nicht wiederholt“.
Quelle: SWR Recherche Unit