Warum macht es der Paragraph 63 StGB den Entscheidern so leicht?
„Wenn die Forensik keine Hoffnung macht – Verwahrte ohne Hoffnung über Jahre ohne Perspektive und aus Geldgier weggesperrt werden – In Klingenmünster in der Pfalz lebt eine Forensik ihren eigenen Traum“. Das war in der Gefängniszeitung der „Lichtblick“ Ende 2021 zu lesen.
Der Paragraph 63 StGB soll angeblich ein humanes Werkzeug im deutschen Strafapparat darstellen (im Jahre 1933 eingeführt und hat immer noch Gültigkeit), doch das Gegenteil sei der Fall. Das haben wir in der Berliner Gefängniszeitung dem „Lichtblick“, Ausgabe 2/2022 gelesen. Die „Open-End-Vorgehensweise“ sei schlichtweg unmenschlich. Die Justiz, die Politik im Allgemeinen, aber auch die Gesellschaft kümmere sich so wenig, heißt es weiter. Auch hätten die 63er keine nennenswerte Lobby draußen. Keiner wolle für Betroffene eintreten und für sie kämpfen, Zitatende.
Über diese Gefängniszeitung „LICHTBLICK“ ist letztendlich unsere Redaktion auch auf einen Fall im Pfalzklinikum Klingenmünster gestoßen. Zuvor ist die Haßlocher Selbsthilfegruppe „Lebensfreude“ auf diesen Fall aufmerksam gemacht worden, auf den NACHRICHTEN REGIONAL nun kurz eingehen möchte. Über die Geschichte, wie in der NS-Zeit kranke und behinderte Menschen in der Forensik landeten und anschließend in KZ-Lagern umgebracht wurden, hatte NR bereits am 01.09.2013 berichtet.
Sind Patienten in der Forensik Profitware?
Die Forensische Klinik in Klingenmünster sei ein Beispiel dafür, wie Personen im 21. Jahrhundert nicht nur wie Tiere gehalten würden, sondern auch als Profitware gelten. Es seien Fälle bekannt geworden, wo Untergebrachte mutmaßlich und oftmals ohne weiteren Grund festgehalten würden, schreibt ein Betroffener in der Gefängniszeitung „Lichtblick“. Die Pfleger führten eine strenge Hand, niemand kenne nur im Ansatz die Wechselwirkung von Medikamenten und Psychologen würden Gutachten ausstellen, die fern jeglicher Realität liegen würden, da der finanzielle Regelbetrieb der Untergebrachten sichergestellt sei. Diese Forensik sei ein Konglomerat aus Gutachtern, Therapeuten und Pflegern. Hier gilt: „Schwimme wie ein Fisch im Schwarm und werde nicht auffällig. Denn wenn man einmal im Focus stehe, sitze man unnötig länger, heißt es weiter in dieser Zeitung.
Aber was ist in der Pfalzklinik Klingenmünster los? Der Untergebrachte, um den es in dem Bericht geht, heißt Alfons Tremel. Er hatte sich im Jahre 2009 bereits an den Haßlocher Verein „Fairness, Transparenz und Gerechtigkeit in der Rechtsprechung“ (FTGR) gewandt, damit man ihm weiterhilft. Einige Hilfsaktionen wurden seinerzeit über den Verein gestartet. Dann war Alfons Tremel wie vom Erdboden verschluckt. Seit 2009 ist er also in der Obhut des Pfalzklinikums, anscheinend wurde er dort „eingesperrt?“.
Wie die Zufälle des Lebens manchmal so spielen, so können sie dem Betroffenen möglicherweise auch Gutes bescheren. Immerhin ist NR durch das Engagement der Haßlocher Selbsthilfegruppe „Lebensfreude“ wieder auf Alfons Tremel aufmerksam gemacht worden. Die Redaktion von NACHRICHTEN REGIONAL hat vor ein paar Tagen den Fall aufgegriffen und sich an das Pfalzklinikum in Klingenmünster gewandt, um Alfons Tremel einen Besuch abzustatten. Der Besuch im Pfalzklinikum Klingenmünster wurde ordnungsgemäß angemeldet, um sich nach den Rechten des Untergebrachten zu erkundigen. Doch unser Besuch wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen verweigert. Also mussten wir uns mit unserer Bitte an den Verwaltungsratsvorsitzenden Theo Wieder wenden. Auch von ihm erhielt NR eine Absage, also keine Erlaubnis für einen Besuch.
Warum kein Einblick in die Forensik in Klingenmünster? – Gibt es auch heute dort was zu verbergen?
WARUM? fragen sich nun Viele, darf man also keinen Untergebrachten besuchen, der schon seit 2009 im Pfalzklinikum ist. Das Verhalten ist für einige Mitstreiter unverständlich, zumal gerade das Pfalzklinikum Klingenmünster eine Gedenkarbeit bezüglich NS-Psychiatrie eingerichtet hatte und auch bekannt ist, dass das Pfalzklinikum als Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster in der NS-Zeit an verbrecherischen Maßnahmen der NS-Psychiatrie beteiligt war. Untersuchungen belegen, dass mindestens 264 Patientinnen und Patienten der Anstalt damals deportiert wurden und außerhalb von Klingenmünster in anderen Einrichtungen gewaltsam zu Tode kamen. Etwa weitere 1700 weitere Patienten starben in Klingenmünster durch gezielten Nahrungsentzug, unterlassene Hilfe und vermutlich auch durch Überdosierung von Medikamenten. Zudem war die Anstalt aktiv in die NS-Erbgesundheitspolitik und die Durchführung von Zwangssterilisationen in der Pfalz eingebunden.
Der Ausschuss für Gedenkarbeit und Geschichte des Pfalzklinikums Klingenmünster sieht ihre Aufgabe als Mahnung für die Gegenwart und die Zukunft, damit die historische Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus an psychisch kranken und behinderten Menschen nicht in Vergessenheit gerät. Das Pfalzklinikum stelle sich dieser Verantwortung durch aktive Aufklärung über die historischen Ereignisse und die Verdeutlichung von Bezügen zu Problemfeldern der gegenwärtigen Versorgung im Bereich er seelischen Gesundheit. Der Ausschuss für Gedenkarbeit und Geschichte am Pfalzklinikum wurde 2011 konstituiert, um diese Aufgabe wahrzunehmen. Er wolle als Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit der NS-Psychiatrie wirken.
Das Landesarchiv Speyer gewährt Akteneinsicht, wenn Angehörige Auskunft zum Schicksal von Verwandten, die während der NS-Zeit in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster waren, haben möchten. Das Landesarchiv in Speyer erreicht man unter der Tel.Nr. 06232 / 9192-0.
Foto: Rudolf Wild, Pfalzklinikum Klingenmünster (Wikipedia)