Rußlands Präsident lässt sich mittlerweile mit „Herr Oberbefehlshaber“ ansprechen
Eine historische Hinführung zum Verständnis des Ukraine-Krieges 2022, das hat Dr. Klaus Becker, stellvertretender Leiter des Ludwigshafener Stadtarchivs und ausgewiesener Stalinismus-Experte in seinem Vortrag „Fakten statt Fakes“ am vergangenen Montag den Anwesenden im Naturfreundehaus in Hochstadt anhand von drastischen Beispielen nahegebracht.
In einem sehr interessanten Beitrag ging der Historiker weit zurück in die Vergangenheit und machte damit die Geschichte über die Ukraine verständlicher. „Bereits am 18.04.2014 hat der Krieg von Russland gegen die Ukraine begonnen“, erklärte Becker. Damals blieb die im Moskauer Kreml – zuvor schon militärisch erzwungene – und nun mit viel Pomp gefeierte Eingliederung der ukrainischen Halbinsel Krim in die Russische Föderation ohne Antwort des Westens. Dies sei ein großer Fehler seinerzeit gewesen, ist sich Klaus Becker sicher. Russlands Präsident Wladimir Putin lasse sich inzwischen als „Herr Oberbefehlshaber“ ansprechen, berichtet Becker weiter, der täglich auch Zugang zu russischen Sendern und Medien hat, weil er die russische Sprache beherrscht.
Im Donbass erste gewaltsame Auseinandersetzungen wegen Krim-Annexion
In der Folge der Krim-Annexion sei es danach auch im Donbass zu den ersten gewaltsamen Auseinanderaussetzungen gekommen. Wie der Historiker weiter informiert, sollte deshalb durch eine Erklärung des ukrainischen Übergangspräsidenten Turtschinkow sowie des Ministerpräsidenten Jazenjuk die russische Sprache in der neuen Verfassung verankert werden. Russisch sollte einen besonderen Status erhalten. Die beiden Politiker, die angesichts des drohenden Zerfalls der Ukraine unter einem erheblichen Druck gestanden hätten, wären damit auf eine wichtige Forderung pro-russischer Aufständischer im Osten des Landes eingegangen und hätten damit Zugeständnisse gemacht, Befugnisse von der Zentralregierung auf die Regionen zu verlagern. Beide Politiker hätten damals an die Bevölkerung appelliert, auf Gewalt zu verzichten und die nationale Einheit zu wahren.
Uniformierte auf der Krim waren Angehörige russicher Spezialeinheiten
Bereits vor diesen Zugeständnissen der Ukraine gegenüber Russland habe der russische Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal öffentlich erklärt, dass die bewaffneten Uniformierten auf der Krim Angehörige russischer Spezialeinheiten gewesen seien. Man hätte sie gebraucht, um die Sicherheit des Referendums zu garantieren. Putin hätte zuvor stets bestritten, dass Russland mit den Soldaten in Verbindung stehe. Kurz bevor die Gespräche zwischen der Ukraine, Russland, der EU und den USA in Genf begonnen hätten, habe Putin erneut darauf hingewiesen, dass ihm die Erlaubnis zum Eingreifen gegeben worden sei, sollten die Rechte der russischen Bevölkerung dort verletzt werden. In einer Resolution habe dann das Europäische Parlament die Übergangsregierung der Ukraine unterstützt und gleichzeitig erklärt, dass die Ukraine das Recht habe, jedes Mittel zur Wiederherstellung der Ordnung einsetzen zu können, bis hin zur Selbstverteidigung. In der Resolution sei Russland ausdrücklich vor militärischem Eingreifen gewarnt worden.
Genfer Erklärung von Prorussischen Aktivisten nicht akzeptiert
Auch hätten die Prorussischn Aktivisten in der Ostukraine die Genfer Erklärung nicht akzeptiert, hat Becker angerissen. Stattdessen seien sie mit immer neuen Forderungen an die Regierung in Kiew herangetreten. Bei einer Schießerei zwischen Separatisten und Unbekannten in Slawjansk sind am 20.4.2014 drei Menschen gestorben, drei weitere wurden verletzt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat der Übergangsregierung in Kiew vorgeworfen, nicht in der Lage zu sein, Extremisten zu kontrollieren und so die Vereinbarung von Genf verletzt. Der russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnete ein Dekret zur Rehabilitierung der Krimtataren und anderer Völker, die während der Repressionen Stalins gelitten haben. Daraufhin wurde gemeldet, dass aus Slawjansk drei Journalisten entführt worden seien. Separatistische Besetzer hätten am 11. Mai 2014 ein Referendum (Volksbefragung) im Osten der Ukraine über die staatliche Autonomie des Donbass in der Oblast Luhansk und der Oblast Donzek während der Anfangsphase des Krieges in der Ukraine durchgeführt, berichtet Becker weiter. Von den Teilnehmenden war abzufragen, ob sie die staatliche Eigenständigkeit der Volksrepublik Donezk bzw. der Volksrepublik Lugansk unterstützen. Nach damaliger Einschätzung des OSZE-Vorsitzenden sowie von Historikern sei das Referendum nicht verfassungskonform und daher illegal gewesen, berichtet Becker weiter. Die Vorbereitung und die Durchführung hätten noch weniger den internationalen Standards als schon das Referendum auf der Krim entsprochen.
Bis heute hat sich Putin an keine Abmachungen gehalten
„Bis heute“, sagt Becker, habe sich Putin an keine Abmachungen gehalten. Er habe nicht nur die russische Bevölkerung, sondern auch alle Medienvertreter belogen. In Russland seien nur noch staatliche Medien erlaubt, private Medien seien inzwischen verboten worden. „Es kann doch nicht sein, dass Journalisten und Medienvertreter im Gefängnis landen, wenn sie über die Wahrheit berichten“, kritisiert Becker. Er selbst habe seit 2004 immer unbürokratisch und ohne Visa in die Ukraine einreisen können – nach Russland nur nach einem komplizierten Visa-Verfahren. Inzwischen habe er in Russland aber selbst diese Verfahren annulliert – kritischen Historikern wie ihm sei seine Einreise damit nicht mehr möglich. Dass Putin den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi als Nazi bezeichne, sei eine Beleidigung, die niemand mehr nachvollziehen könne. Dies sei auch nur ein Teil der ukrainischen Geschichte im 2. Weltkrieg, erklärt Becker, die er ausführlich erläuterte. Der ukrainische Präsident gab selbst in einer Presseerklärung folgendes bekannt: »Wie kann ich ein Nazi sein? Erklären Sie das mal meinem Großvater, der den ganzen Krieg in der Infanterie der sowjetischen Armee mitgekämpft hat und als Oberst in einer unabhängigen Ukraine gestorben ist.« Der ukrainische Präsident erwähnte indirekt auch, dass er Jude ist. Drei Brüder seines Großvaters wurden im Holocaust ermordet.
Beckers ukrainische Ehefrau Julia bittet darum, Landsleute aus der Ukraine zu unterstützen
Wie es seiner Familie und seinen Schwiegereltern in der Ukraine geht, weiß Klaus Becker nicht. Der Kontakt sei inzwischen abgebrochen, es sei auch derzeit keine Verständigung möglich, berichtet er weiter. Die Lage in der Ukraine schätzt er derzeit als gefährlich ein, auch Hilfstransporte in die Ukraine müssten gut organisiert sein. Es seien inzwischen viele tote Zivilisten in der Ukraine zu beklagen, berichtet auch seine Ukrainische Frau Julia, die schon 20 Jahre mit Klaus Becker verheiratet ist und auch seitdem in Deutschland lebt. Sie bittet alle Anwesenden der Veranstaltung, ihre Landsleute aus der Ukraine zu unterstützen und Menschen, die wegen des Russland-Krieges nach Deutschland gekommen sind, zu helfen.
Wer Interesse an einem Vortrag mit Dr. Klaus Becker über den Ukraine-Krieg hat, kann sich direkt mit ihm unter der Tel.Nr. 01707811976 oer e-mail-Adressse klausinlu@t-online.de in Verbindung setzen.
Foto: NR (Karin Hurrle)
von li.n.re. Dr. Klaus Becker, Karlheinz Frech, Vorsitzender der Naturfreunde Hochstadt.