65 Gründungsmitglieder gründen den Haßlocher SPD-Ortsverein – Oft gab es Streit und Personaldiskussionen
65 Gründungsmitglieder gründen am 24. Feburar 1946 den Haßlocher SPD-Ortsverein, 52 stimmbrechtigte Personen hatten an der Versammlung seinerzeit teilgenommen. Zum 1. Vorsitzenden wurde Fritz Ohler gewählt, der sich gegen Emil Merkel mit 32 zu 20 Stimmen durchsetze. Emil Merkel wurde Ohlers Stellvertreter, der gegen Karl Braun kandidierte und mit 28 zu 24 Stimmen gewählt wurde. Mag der Wille zur Wiedergründung des Ortsvereins einmütig gewesen sein, bei der Wahl der Vorstandschaft zeigten sich dennoch Kampfabstimmungen.
Foto: Erster SPD-OV-Vorsitzender nach dem 2. Weltkrieg Fritz Ohler
Der SPD-Ortsvereins nahm schnell seine Arbeit auf und hatte damit auch Erfolg. Trotz einiger Turbulenzen – Fritz Ohler trat bereits nach 2 Monaten von seinem Amt zurück und Emil Merkel musste den Ortsverein bis zur nächsten Generalversammlung führen – wuchs die Mitgliederzahl schnell an. Von 65 Gründungsmitgliedern (24.02.1946) auf 85 Mitglieder, wie Emil Merkel auf der Mitgliederversammlung am 13.07.1946 bekannt gibt und – nach einer Mitgliederwerbeaktion – auf 107 Mitglieder am 25.01.1947 innerhalb eines Jahres verdoppeln können. Auch sonst war die Arbeit der SPD erfolgreich. Bei der Gemeinderatswahl vom 15. September 1946 errang die SPD 35% der abgegebenen Stimmen (Landesdurchschnitt 20,7%), 3% mehr als die CDU; bei der Kreistagswahl am 13. Oktober 1946 sogar 38% (Landesdurchschnitt 25,7%), 8% mehr als die CDU. Aufgrund des guten Wahlergebnisses bei der Gemeinderatswahl konnte die SPD auch den ersten vom Gemeinderat gewählten Bürgermeister nach dem Krieg stellen: Philipp Postel wurde am 12.01.1947 zum ehrenamtlichen Bürgermeister gewählt.
Foto: SPD-Bürgermeister Philipp Postel (1946 – 1947)
Noch im Jahre 1947 musste der Ortsverein eine Genehmigung bei der französischen Militärbehörde einholen, wenn er eine Mitgliederversammlung oder eine öffentliche Versammlung durchführen wollte. Die Genehmigung wurde durch das Abstempeln und die einfache Bemerkung „autorisé“ (genehmigt) erteilt. Das Formular (zweisprachig) scheint der SPD-Bezirk entworfen zu haben. Im Lokal Otterstätter in der Pfarrgasse (Gasthaus zur Sonne) fanden die Mitgliederversammlungen vom 13.07.1946 und einige Ausschusssitzungen statt.
Foto: Genehmigung der französischen Militärbehörde für Durchführung einer SPD-Mitgliederversammlung
Wer darf in die SPD?
Öffentliche Diskussionen über die Aufnahme von Personen in die Partei, in den Mitgliederversammlungen entscheiden zu lassen, wurde schnell wieder abgeschafft. Die Personaldiskussion und die Debatten in der öffentlichen Mitgliederversammlung im Lokal Scholl am 23.03.1946 – dass bei der Vergangenheitsbewältigung genug schmutzige Wäsche gewaschen wurde, kann man sich vorstellen – muss so unerfreulich gewesen sein, dass der SPD-Vorstand beschloss, die Neuaufnahme vom Parteiausschuss und nur in Zweifelsfällen die Mitgliederversammlung entscheiden zu lassen. Daran hat man sich lange Zeit gehalten.
So kann man in den Ausschussprotokollen z.B. lesen: „Über die Aufnahme von M.J. lehnt der Ausschuss die Verantwortung ab, die Mitgliederversammlung soll entscheiden, ob M.J. aufgenommen wird oder nicht“ (19.08.1046). Die Mitgliederversammlung entschied in besagtem Fall in schriftlicher Abstimmung – so aus der Versammlung heraus beantragt – dass M.J. „mit 22 Ja, 13 Nein und 2 Enthaltungen aufgenommen“ ist. Man sieht, die Frage der Mitgliedschaft führte im Ortsverein zu einer erheblichen Polarisierung und sorgte ständig für Zündstoff. Man kann sich gut vorstellen, welche Abrechnungen und Aufrechnungen in den Sitzungen Platz griffen. Besagter M.J. wurde zwar aufgenommen, aber mit der Auflage „dass M.J. in der SPD kein Amt bekleiden dürfe“.
Foto: Die meisten Mitgliederversammlungen der SPD fanden 1946 in der Alten Brauerei Löwer statt
Natürlich kann man fragen, warum man nicht einfach die Mitgliedschaft in NS-Organisationen und die NSDAP-Mitgliedschaft als Ablehnungsgrund genommen hat. Warum hat man also dies nicht als Ablehnungsgrund beschlossen? Vielleicht aus der Kenntnis heraus, dass es auch so etwas wie Zwangsmitgliedschaft in NS-Organisationen gab. Der Ortsverein kam nun in die schwierige Situation, zwischen dem bloßen Mitläufer, dem einfachen Mitglied einer NS-Organisation, den man als politisch tragbar ansah, und dem aktiven Nazi, dem man die Mitgliedschaft verwehren musste, zu unterscheiden. Oft keine leichte Aufgabe für die Ausschussmitglieder, so dass die Mitgliederversammlung die Entscheidung über die Neuaufnahme von Mitgliedern dem Ausschuss wieder aus der Hand nahm und an sich zog (18.03.1947). Es wurde nach dieser Entscheidung nicht jeder Antragsteller in die Partei aufgenommen, und nicht jeder der aufgenommen wurde, blieb in der Partei. Die Vergangenheit holte den einen oder anderen auch noch als SPD-Mitglied ein, so dass der Ortsverein ein Parteiausschussverfahren am 06.01.1947 im Falle von G.K.G beantragen musste, „weil er ein eifriger und guter Nazi war“.
Vergangenheitsbewältigung – Entnazifizierung?
In die Sparte Vergangenheitsbewältigung gehört auch die Tätigkeit der Parteien als Gutachter für die Entnazifizierungsausschüsse. Auch der Ortsverein wurde um solche Unbedenklichkeitsbescheinigungen (politische Führungszeugnisse) gebeten, die zu dem begehrten „Persilschein“ führen sollten, eine Bestätigung also, dass man kein aktiver Nazi, sondern nur Mitläufer, harmloser Mitläufer, gewesen sei.
Folgende Bescheinigungen wurden ausgestellt:
„W. wird ein entsprechendes Zeugnis erhalten, dass er in der Nazi-Partei war, sich aber nicht besonders hervorgetan hat“.
„Gen. Kaiser proklamierte in einem kurzen Referat die gegebenen Umstände, dass S. durch schwere und schmutzige Arbeit genug bestraft wäre und schilderte ihn als einen anständigen und erträglichen Menschen, der sich politisch nie hervorgetan hätte. Die Beurteilung fand allgemein Zustimmung“.
„K. hat sich politisch nie hervorgetan und war während seiner Zugehörigkeit zur NSDAP weder aktivistisch noch propagandistisch tätig. Der Beschluss lautet: Politisch tragbar“.
„Gen. Schneider nannte G.B. zwar eine militärische Natur, war aber nie aktivistisch oder propagandistisch hervorgetreten, Einstimmiger Beschluss: Politisch tragbar“.
„Gen. Kaiser hielt längeres Referat, in dem er L. als Aktivist in der SA bezeichnete, der fähig war, einen Antifaschisten zu bedrohen. Nach längerer Zeit wurde der Beschluss gefasst, L. vor einen engeren Ausschuss zu laden…“.
Beschreibung des Parteiklimas
Am Anfang soll alles golden gewesen sein. Diese Brille hat sich der SPD-Ortsverein auch nach einem 40-jährigen Bestehen nicht anziehen wollen. Gerade dann nicht, wenn es um das parteiinterne Miteinander und den persönlichen Umgang der Vorgänger im Ortsverein geht. Liest man die Protokolle, so kann man mit Bedauern, vielleicht aber mit einer gewissen Beruhigung feststellen, dass der Ortsverein noch nie in vollkommener Harmonie vorwärtsstrebte. Um es etwas deutlicher zu formulieren: Dass dem SPD-Ortsverein innerparteiliche Querelen in die Wiege gelegt waren und das Parteiklima schon seit dem Gründungsjahr belasteten. Man hat sich zwar nicht gerade zerfleischt, zumindest nicht immer, aber deftige Wortausbrüche, Gereiztheit, Austrittsdrohungen und das „Beleidigte-Leberwurst-Spiel“ gab es damals auch schon.
Die vorhandenen Protokolle geben wohl nur einen Bruchteil der Belastungen des Parteiklimas wieder, denn wer schreibt schon gern das Negative ins Protokoll, wer dokumentiert seine Schwierigkeiten schon gern so, dass auch Außenstehende davon Wind bekommen. Die Anlässe waren – auch hier hat sich nicht viel geändert – in der Regel Personaldiskussionen.
Die erste „Situation“ vermerkt das Protokoll schon am 26.04.1946, also 2 Monate nach der Gründung des SPD-Ortsvereins. Auf der Mitgliederversammlung im Lokal Scholl legt Fritz Ohler sein Amt als Vorsitzender nieder und tritt aus der SPD aus. Gen. Schneider ließ „wegen umlaufender Gerüchte“ darüber abstimmen, ob er das Vertrauen der Mitglieder besitze; ansonsten wolle er sich zurückziehen. Um welche Gerüchte es sich dabei handelte, lässt der Protokollant unerwähnt – wohl aus gutem Grund. Die Mitgliederversammlung sprach Gen. Schneider das Vertrauen aus, ausgenommen Gen. Ohler, dem Vorsitzenden. Damit war wohl der erste Stein geworfen.
Foto: Im Lokal Scholl (Arche Noah) im Lachener Weg (heute AMALFI) fand die SPD-Mitgliederversammlung am 26.04.1946 statt
Eine weitere Personaldebatte auf dieser Mitgliederversammlung folgte. Es ging um die Tätigkeit des Gen. Reber in Speyer, ein Fall von Vergangenheitsbewältigung also. In dieser Angelegenheit müssen die Wogen schon vorher hochgeschwappt sein, denn Gen. Langlotz aus Speyer war zu dieser Mitgliederversammlung angereist, um für Reber zu sprechen, und er hatte sogar ein Votum des Bezirksausschusses dabei, das einstimmig „die Aufnahme des Gen. Reber gutheißt“. Der Wunsch von Langlotz, „dass alle persönlichen Sachen im Interesse unserer Partei verschwinden müssen“ und „dass in Zukunft gute und ersprießlich Arbeit geleistet wird“, ging an diesem Abend nicht in Erfüllung. In der folgenden Aussprache muss sich Fritz Ohler stark gegen die Aufnahme von Reber ausgesprochen haben und zusätzliche Erklärungen für belastende Dokumente gefordert haben. Die zusätzlichen Erklärungen von Langlotz genügten ihm offenbar nicht, denn das Protokoll vermerkt, dass Langlotz Auskünfte gab, „womit Gen. Ohler aber immer noch nicht zu belehren war“.
Die Lösung des Problems, die dann praktiziert wurde, entspricht zwar nicht dem Demokratieverständnis des Verfassers der Jubiläumsschrift „Vor 40 Jahren – Die Befreiung von der Hitlerdiktatur und die Erneuerung des politischen Lebens“, Jürgen Hurrle, wurde aber dennoch in dieser Festschrift dokumentiert. Sie ist wohl nur auf dem Hintergrund einer erregten und sehr gereizten Mitgliederversammlungsdiskussion verständlich. „Gen. Langlotz sagt dann, dass es nicht so weitergehen kann, und spricht Gen. Ohler im Auftrag des Bez.Vorstandes das Misstrauen aus. Gen. Ohler legt dann sein Amt als Vorsitzender nieder. Gen. Langlotz legt Ohler ans Herz, dass es sogar besser ist, wenn er aus der Partei austrete, welches Fritz Ohler ebenfalls vollzieht. „So das Protokoll“.
Das Urteil über die abschießende Bemerkung von Gen. Langlotz, ‚“dass diese Säuberung im Interesse einer praktischen und sachlichen Politik notwendig war“ überlässt der Autor dieser Jubiläumsschrift, Jürgen Hurrle (SPD) , den Leserinnen und Lesern selbst. Dank an dieser Stelle gilt ihm in besonderer Weise, der maßgeblich die Jubiläumsbroschüren „SPD vor 40 Jahren“ und „125 Jahre Sozialdemokratie in Haßloch“ gestaltet, verfasst und Dokumentationen sowie Fotomaterial unserer Redaktion NACHRICHTEN REGIONAL zur Verfügung gestellt hat.
Foto: Lokal Otterstätter „Zur Sonne“ in der Pfarrgasse fanden die Mitgliederversammlungen am 13.07.1946 statt