Vorsitzende des Bundesverbandes ANUAS e.V. steht Rede und Antwort in Bezug auf gewaltsame Tötung und zweifelhaften Suiziden
Die Redakteurin von NACHRICHTEN REGIONAL hat vor ein paar Tagen ein Interview mit der Vorsitzenden des Bundesverbandes ANUAS e.V., Marion Waade, geführt, wo sie u.a. ihr neues Projekt „ANUAS-Talk“ vorstellen konnte. Ihr geht es darum, dass Angehörige gewaltsamer Tötungen und zweifelhafter Suizide künftig zu Wort kommen. Jeder, der ein solch schlimmes Erlebnis hatte, kann seine Geschichte erzählen und wird journalistisch begleitet. Auch Marion Waade berichtet über ihr eigenes Schicksal, das durch den Tod ihrer Tochter Susan ihr Leben verändert hat. Seit dieser Zeit kämpft sie um die Aufklärung dieses Mordfalles, der bis heute noch nicht gelöst wurde. Grund genug, den Bundesverband ANUAS e.V. zu gründen. Als investigative Journalistin konnte Karin Hurrle im Interview mit Marion Waade als Betroffene und als Gründerin von ANUAS e.V. einiges von ihr erfahren.
NR:
Frau Waade, Ihnen und Ihrer Familie ist ja etwas sehr Schlimmes passiert, was für viele Menschen unvorstellbar ist. Möchten Sie kurz darüber berichten?
MW:
Im Juni 2007 ist unsere Tochter Susan in Griechenland ermordet worden. Anfangs wurden die Ermittlungen in Deutschland und Griechenland eingestellt, weil einer der mutmaßlichen Täter, der ehemalige Lebenspartner unserer Tochter davon sprach, dass sie sich suizidiert hätte.
Es ist soviel an Ungerechtigkeiten passiert, dass ich mich entschlossen habe, eine Webseite, keine Trauerseite, zu erstellen. Der letzte Punkt in der Navigation „Ermittlungen“ wird ergänzt werden, wenn die noch laufenden Aktivitäten der Behörden abgeschlossen sind. Ich werde dann Jahr für Jahr über die Ermittlungen durch deutsche und griechische Behörden berichten und welche Auswirkungen dieses für uns, die Familie, Freunde und Bekannte hatte.
Auf der Webseite unserer Tochter kann man sich einen ersten Einblick zum Geschehen verschaffen.

NR:
Wie sind Sie mit dem Thema und den Ungerechtigkeiten umgegangen? Haben Sie sich Hilfen geholt?
MW:
Ich habe versucht, Hilfen zu finden und habe mit Entsetzen festgestellt, dass es für Angehörige von Tötungsdelikten keine Hilfen gab. Niemand sah sich in der Verantwortung zu unterstützen. Das Thema machte einfach Angst! Dazu würde ich aber in einem separaten Interview mehr erzählen.
NR:
Haben Sie andere betroffene Menschen gewaltsamer Tötung kennengelernt, wie gingen diese mit dem Schicksalsschlag um?
MW:
Ich traf mich damals mit anderen Betroffenen, immer einzeln, weil innerhalb einer Gruppe verkraftet man solche Austauschgespräche nicht. Man hat mit seinem eigenen Leidensdruck, dem Stress und den damit zusammenhängenden Problemen und Auswirkungen so viel zu tun, dass man sich nicht noch die Probleme anderer Betroffener anhören möchte. Man würde das auch gar nicht aushalten. Die Sorgen und Probleme in jedem Betroffenenfall sind so individuell, dass man eigentlich nicht von gleichen Fällen sprechen kann.
Eine betroffene Mutter, mit der ich mich sehr oft und gerne in Café’s traf, berichtete mir, dass ihre Tochter zwei Jahre vor unserer Tochter (2005) auf genau die gleiche Art und Weise in Spanien zu Tode kam und keine Behörden (weder in Deutschland noch in Spanien) etwas unternommen haben, man ging auch hier von einem Suizid aus. Die Mutter hat dann in Deutschland einen hohen Kredit aufgenommen und den Leichnam ihrer Tochter nach Deutschland geholt. Im Rechtsmedizinischen Institut Köln ließ sie den Leichnam auf private Veranlassung und Kosten obduzieren. Mit dem Obduktionsergebnis „Gewaltsame Tötung“ ging sie zur Polizei und bat um korrekte Ermittlungsarbeit. Sie erhielt die Antwort: „Sie haben sich in laufende Ermittlungen eingemischt, … außerdem handelt es sich um ein Privatgutachten, wahrscheinlich zu Ihren Gunsten, was sie teuer bezahlt haben, wir gehen von einer Art Gefälligkeitsgutachten aus … wir machen jetzt gar nichts mehr…“.
Ich habe diese Frau nie wieder gesehen, wie mir der Ehemann kürzlich danach mitteilte, konnte seine Frau mit den erlebten Ungerechtigkeiten und den Antworten von Justizbehörden, denen sie vertraut hat, nicht mehr leben, sie hat sich suizidiert. Dieser Fall war ein ausschlaggebender Grund dafür, dass ich die Idee aufgriff, einen Verein zu gründen. Allerdings sahen wir auch zwingenden Handlungsbedarf aus dem eigenen Schicksalsschlag heraus. Es ging uns nicht um irgendeine Trauerbewältigung. Wir wollten die Anerkennung als Opferangehörige, Informationen, Aufklärung und respektvollen Umgang mit uns erhalten. Behörden, die helfen könnten und dieses nicht tun, … darauf wollten wir hinweisen.
NR:
Wann genau haben Sie den Verein gegründet?
MW:
Es waren viele Informationen nötig, wie ein Verein gegründet und geführt wird. Ich habe auf eigene Kosten Weiterbildungen gemacht und in etlichen Vereinen ehrenamtlich gearbeitet. Am 26. 11. 2008 war es dann so weit, die Gründungsversammlung mit acht Interessenten fand statt. Die Namensfindung war zuerst ein Problem. Dann ging alles sehr schnell: notarielle Beglaubigung, Eintragung im Amtsgericht, Anmietung der Geschäftsräume … und ganz viel Organisatorisches.

NR:
Was bedeutet der Name „ANUAS“
MW:
Ich bin Ärztin und Traumatherapeutin und habe bis zur Rente viele Jahre in dem Bereich ´mit Menschen gearbeitet. Ich kenne die Auswirkungen nach einem „Schock-Stress-Trauma“ sehr genau. Dafür wollte ich einen passenden Namen finden. ANUAS – alles in Großbuchstaben geschrieben! Natürlich könnte man auch gedanklich versuchen die Buchstaben zu übersetzen, vllt. so: „Andere nicht umbringen, attackieren und schaden“

Nähere Erläuterungen hier:

NR:
Welche Aufgaben und Ziele sahen Sie in der Vereinsgründung?
MW:
Zur Gründung waren sich die Gründungsmitglieder einig, der Verein sollte ca. 15 Jahre existieren. In der Zeit sollte auf Probleme bezogen auf Angehörige gewaltsamer Tötungsfälle und zweifelhafter Suizide hingewiesen werden. Im letzten Jahr war der 15. Jahrestag. Da ANUAS noch nicht alle Ziele erreicht hat, wird ANUAS noch weiter aktiv für „Mit-Opfer“ ehrenamtlich tätig sein und Rechte erwirken.
ANUAS ist ausschließlich für Angehörige gewaltsamer Tötung tätig. Es gibt in der gesamten EU nur zwei Betroffenen-Hilfsorganisationen für Angehörige gewaltsamer Tötung: In Irland = AdViC e.V. und in Deutschland = ANUAS e.V. Ein großer Meilenstein konnte erreicht werden, damit sind Angehörige gewaltsamer Tötung = „Mit-Opfer“. Dieses bestätigen auch Akademiker in Forschungsstudien: Im Jahr 2009 haben wir uns erstmals an die EU gewandt und auf die Probleme hingewiesen. Der ANUAS wurde in die EU-Verbändeanhörung mit einbezogen. Wir konnten erreichen, dass Angehörige gewaltsamer Tötung den „Opferstatus“ erhalten müssen. Familienangehörige von Personen, die infolge einer Straftat zu Tode kamen, zählen zu den Opfern und genießen dieselben Rechte wie die Opfer selbst einschließlich des Rechts auf Information, Unterstützung und Entschädigung.
Richtlinie 2012/29/EU v. 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (Umsetzung in nationales Recht 16. 11. 2015). Familienangehörige von Personen, die infolge einer Straftat zu Tode kamen, zählen zu den Opfern und genießen dieselben Rechte wie die Opfer selbst einschließlich des Rechts auf Information, Unterstützung und Entschädigung. Die neuen Vorschriften sollen sicherstellen, dass alle Opfer von Straftaten und ihre Angehörigen als solche anerkannt und respektvoll ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend und diskriminierungsfrei behandelt werden.
Hervorzuheben sind insbesondere folgende Rechte: Rechte der Angehörigen – Familienangehörige von Personen, die infolge einer Straftat zu Tode kamen, genießen dieselben Rechte wie die Opfer selbst einschließlich des Rechts auf Information, Unterstützung und Entschädigung. Auch Familienangehörige von Überlebenden haben Anspruch auf Unterstützung und Schutz. EU-Pressemitteilung: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_15_6095
ANUAS will erreichen, dass die „Betroffenenkompetenz“ in der Politik und Gesellschaft ernst genommen wird. Die „Betroffenenkompetenz“ sollte mit der „Fachkompetenz“ zusammenwirken um bessere Hilfen für „Mit-Opfer“ zu erreichen. Zu weiteren Aufgaben * Zielen und Erfolgen werde ich in weiteren Interviews ausführlich sprechen.

NR:
Wie unterscheidet sich ANUAS von anderen Opferhilfsorganisationen?
MW:
Das ist schnell und einfach erklärt: es gibt in Deutschland nur eine Betroffenen-Hilfs- und Selbsthilfeorganisation von Angehörigen gewaltsamer Tötung mit folgenden Kriterien:

NACHRICHTEN-REGIONAL bedankt sich für das geführte INTERVIEW mit Marion Waade und die umfassende Informationen. Wir wünschen ihr und auch dem Bundesverband ANUAS weiterhin viel Erfolg bei ihren Aktivitäten. Wir sind jederzeit und gerne bereit, über weitere Geschichten und über unaufgeklärte Mordfälle zu berichten.