Zwangspsychiatrie in Zahlen: Willkür psychiatrischer „Diagnostik“ angestiegen
Die Interessengemeinschaft „Fairness, Transparenz und Gerechtigkeit in der Rechtsprechung“ (FTGR) engagiert sich seit Jahren gegen „Willkür“ in der Justiz und hat ein Auge darauf, ob beschlossene Gesetze rechtmäßige Anwendung finden. Schon im Jahre 2009 hatte sich der FTGR mit dem Verein gegen Rechtmissbrauch (VGR) zusammengetan. Ziel war damals, gegen „Justiz-Willkür“ vorzugehen und Justizgeschädigte dabei zu unterstützen, dass solche Fälle öffentlich werden. Dabei hatten sich einige Vereine miteinander vernetzt, u.a. auch mit dem Münchner Justizopferverein. Im Mai 2015 wurde durch diesen Münchner Verein eine DEMO auf dem Münchner Marienplatz wegen „Justiz-Willkür“ organisiert. Schirmherrin dieser DEMO war seinerzeit die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. NR hatte am 28.12.2022 letztmals darüber berichtet.
Petition zur Justizreform kann noch gezeichnet werden
Mittlerweile haben einige Personen an einer Justizreform gearbeitet und in einer Petition öffentlich gemacht. Diese kann immer noch gezeichnet werden, siehe https://www.change.org/Justizreform. Auch gegen Hass und Hetze haben sich diese Organisatoren vom VGR und FTGR stark gemacht. Ein diesbezügliches Schreiben hatte auch Bundesjustizminister Buschmann seinerzeit erhalten. Inzwischen hat er sich mit der Änderung der Gesetzgebung befasst. Der Sender nt-v hatte am 12.04.2023 wie folgt berichtet: „Betroffene von rechtsverletzenden Äußerungen im digitalen Raum sollen sich künftig leichter zur Wehr setzen können. Zu einem entsprechenden Gesetz, das die Bundesregierung noch in diesem Jahr auf den Weg bringen will, hat das Justizministerium ein Eckpunkte-Papier vorgelegt. Bundesjustizminister Marco Buschmann betonte, bei diesem Vorhaben gehe es nicht darum, die Meinungsfreiheit einzuschränken. An den Spielregeln des demokratischen Diskurses wird das Gesetz nichts ändern“. Zu dem geplanten „Gesetz gegen digitale Gewalt“ gibt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP bereits eine relativ detaillierte Vereinbarung. Dort heißt es unter anderem: „Wir schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung und für private Verfahren und ermöglichen richterlich angeordnete Accountsperren“.
Nicht nur gegen „Haß“ und „Hetze“ sollte die Gesetzgebung im Strafgesetzbuch reformiert werden, auch der „Täter-Opfer-Ausgleich“ sollte durchleuchtet und möglicherweise das Gesetz angepasst werden. Um mehr darüber zu erfahren, hat die Sprecherin der IG FTGR eine Fachtagung des sächsischen Justizministeriums am 2. und 3. Juni in Meißen besucht. In einer Evaluationsstudie der Uni Leipzig wurde der Täter-Opfer-Ausgleich durchleuchtet und das Forschungsergebnis darin dokumentiert. Die Idee zum Täter-Opfer-Ausgleich war auch Thema in der 94. Justizministerkonferenz im Mai 2023 in Berlin. Es wurde folgender Antrag von Sachsen eingebracht: „Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich mit den Mechanismen zur Schadenswiedergutmachung im deutschen Straf- und Strafverfahrensrecht, insbesondere dem Täter-Opfer-Ausgleich (TOA), mit dem Potential alternativer Wiedergutmachungsverfahren und dem Rechtsgedanken des Restorative Justice im Strafrecht befasst. Sie stimmen überein, dass es zur Ausnutzung des mit der Schadenswiedergutmachung und insbesondere des TOA verbundenen Potentials für die Strafrechtspflege sinnvoll ist, auf Länderebene bestehende Gestaltungsspielräume zu nutzen und den länderübergreifenden Austausch im Sinne einer Best Practice zu verstärken“. Der Antrag fand allerdings keine Zustimmung. Auch darüber wurde am 07.06.2023 von NR berichtet, siehe LINK dazu: https://nachrichten-regional.de/taeter-opfer-ausgleich-im-erwachsenenbereich-evaluationsstudie-der-uni-leipzig-liegt-vor/.
Es darf keinen Zwang und und keine Gewalt in der Psychiatrie geben!
Mit dem Thema „Zwang und Gewalt in der Psychiatrie“ befasst sich die Sprecherin der Haßlocher Selbsthilfegruppe „Lebensfreude“ auch schon seit vielen Jahren. Mit Gleichgesinnten setzt sie sich schon lange für eine entsprechende Gesetzesänderung ein. Aus diesem Grunde hat die Leiterin der SHG im Februar 2023 einen Fachvortrag in Frankfurt am Main besucht, wo es um das Thema „Gewalt in der Psychiatrie“ ging. Darüber hat NACHRICHTEN REGIONAL am 28.02.2023 ebenfalls berichtet, siehe Bericht dazu: https://nachrichten-regional.de/vermeidung-von-zwang-fazit-der-frankfurter-fachtagung-viele-offenen-fragen-in-bezug-auf-die-betreuung-in-der-psychiatrie/
Die Statistiken des Bundesministeriums der Justiz belegen das beträchtliche Ausmaß an psychiatrischen Zwangsmaßnahmen in der BRD. Im Jahr 2005 belief sich die Zahl der Unterbringungsverfahren nach öffentlichem Recht (Psychisch-Kranken-Gesetzen) und Betreuungsrecht insgesamt auf 208.779. Somit waren in diesem Jahr rund 0,25%, also jede/r Vierhundertste der 82,5 Millionen (82 438 000) in Deutschland lebenden Menschen von Zwangsunterbringung betroffen. Im chronologischen Vergleich der Daten wird ein drastischer Anstieg von psychiatrischen Zwangsmaßnahmen sichtbar. Seit Inkrafttreten des neuen, angeblich „reformierten“ Betreuungsrechts im Jahr 1992 ist die Entrechtung nicht weniger geworden, sondern die Zahl der „rechtlichen Betreuung“ genannten Vormundschaften ist kontinuierlich angestiegen.
Während es 1992 bundesweit 436.000 „Betreuungen“ gab, waren es im Jahr 2002 bereits über eine Millionen (1.047.406) „Betreuungen“ – ein Anstieg also um mehr als das Doppelte! Parallel dazu stieg die Anzahl der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringungen nach Betreuungsrecht von 40.369 (1992) auf 110.914 (2002). Die Zahl der Anordnungen von Einwilligungsvorbehalten nach § 1903 BGB verdoppelte sich von 5.041 im Jahr 1992 auf 10.214 im Jahr 2002 und stieg weiter auf 11.652 im Jahr 2005. Demgegenüber ist die Anzahl der öffentlich-rechtlichen Zwangsunterbringungen nach den Landesgesetzen in diesen zehn Jahren um „lediglich“ 12 Prozent von 52.191 (1992) auf 58.420 (2002) gestiegen. Diese Tendenz war auch im Jahr 2005 ersichtlich: Während es 63.155 Verfahren zur Zwangsunterbringung nach PsychKG gegeben hatte, betrug die Anzahl der Verfahren zur Zwangsunterbringung nach Betreuungsrecht/BGB mit 145.624 mehr als das doppelte. Professor Eckhard Rohrmann von der Universität Marburg kam angesichts dieser Statistiken zu folgender Überlegung: „Wenn wir das nicht auf einen Besorgnis erregenden Zuwachs der Einsichtsunfähigkeit in der Bevölkerung generell zurückführen wollen, können nur Verfahrensprobleme, genauer: eine gewachsene Bereitschaft, eine solche zu unterstellen und gutachterlich zu bescheinigen, die Ursache für diese Entwicklung sein. In diesem Fall wäre aber die Diagnose einer Einsichtsunfähigkeit weniger ein objektiver medizinischer Befund, als vielmehr Ausdruck spezifischer Einstellungen der Gutachter. (…) Wäre Einsichtsunfähigkeit tatsächlich ein objektivierbarer Tatbestand, so wäre damit zu rechnen, dass dieser mehr oder weniger gleichmäßig über die gesamte Bundesrepublik verteilt wäre“.
Die Verteilung ist ganz und gar nicht gleichmäßig: In Bayern wurden nach Betreuungsrecht im Jahr 1998 „etwa doppelt so viele Unterbringungen pro tausend Einwohner angeordnet (…), wie im übrigen Bundesgebiet, und etwa zehn mal so viele, wie in den neuen Bundesländern, ohne dass dort die öffentliche Ordnung zusammengebrochen wäre“. Das bedeutet: Wenn nicht „die Einsichtsunfähigkeit der bayerischen Bevölkerung in diesem dramatischen Ausmaß von derjenigen der übrigen Bundesbürger“ abweicht, dann resultieren die Unterschiede aus “unterschiedlichen Einstellungen von Gutachtern und Richtern in den einzelnen Bundesländern gegenüber Willensentscheidungen, die ihnen sinnwidrig erscheinen”.Ein Beleg für die Beliebigkeit und Willkür psychiatrischer „Diagnostik“.
PsychiaterInnen können aus jeder menschlichen Regung eine „psychische Krankheit“ herbeiphantasieren. Indem Gert Postel, als sogenannter „Hochstapler“ bekannt, die Psychiatrie jahrelang täuschte, kann er nun darüber Zeugnis ablegen. Dem gelernten Postboten gelang es, ohne ärztliche Ausbildung, einmal als Amtsarzt in Flensburg und das andere Mal als hochgeachteter psychiatrischer Gutachter und Oberarzt in Zschadraß bei Leipzig zu arbeiten, wo er PsychiaterInnen anleitete, Approbationen verlieh und Stellen vergab. Am Ende wurde ihm sogar ein Chefarztposten in der Forensik angeboten. „Niemals wurde er kritisiert“ berichtet auch FOCUS online, denn „fragen gilt in diesen Kreisen als Inkompetenz“, so Postel.Gert Postel hatte auch neue „Krankheiten“ erfunden, wie die „bipolare Depression dritten Grades – die niemand jemals hinterfragte. Eine intellektuelle Herausforderung sei diese Arbeit nicht gewesen“.
Postels Resümee: „Sie können mittels der psychiatrischen Sprache jede Diagnose begründen und jeweils auch das Gegenteil und das Gegenteil vom Gegenteil – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“ (…) „Bestimmte Symptome unter bestimmte Begriffe zu subsumieren, kann auch jede dressierte Ziege“. Und: „Wer die psychiatrische Sprache beherrscht, der kann grenzenlos jeden Schwachsinn formulieren und ihn in das Gewand des Akademischen stecken“. Um Menschen anschließend einsperren und zwangsbehandeln zu können, kann auch “gute Fassade” als Begründung herhalten (es wird einfach unterstellt, die/der Betroffene tue nur so, als sei sie/er nicht “krank”. Selbst wenn eine/r versucht, sich “krankheitseinsichtig” zu zeigen, in der Hoffnung, die Verurteilung abzumildern oder später schneller entlassen zu werden.
Eine kleine Gruppe innerhalb der Interessengemeinschaft „Fairness, Transparenz und Gerechtigkeit in der Rechtsprechung“ (FTGR) kämpft daher weiter für die Gerechtigkeit in unserem Lande und ist weiterhin Ansprechpartner für Fragen, wenn es um „Justiz-Willkür“ geht. Sie können uns erreichen unter info@verein-ftgrev.de oder unter der Tel.Nr. 0170 / 2784 150.