Mord oder Suizid? – Das muss ein Ermittler gesichert herausfinden!
Täglich kann man im Fernsehen Krimis verfolgen, wo Mordfälle rasch aufgeklärt werden. Doch der Alltag stellt sich leider anders dar. Oftmals vergehen Jahre, bis ein Ermittler einen Mordfall wirklich gesichert aufklären konnte. Viele „Fallstricke“ sind bei den Ermittlungen zu überwinden. Immer dann wird es schwierig, wenn Spuren falsch verfolgt werden oder nicht der richtige Fachmann am Werk ist. Einige Fälle sind auch unserer Redaktion bekannt, einer davon ist der Mordfall von Susan, der Tochter von Marion Waade, die in Griechenland ermordet wurde, und die dortigen Behörden bis heute die Aufklärung verweigern. Und das Schlimme dabei, der Mord soll angeblich ein Suizid gewesen sein. Wie Ermittlungen richtig durchzuführen sind, dazu haben wir im Interview den Diplom-Kriminalist Dr. Manfred Lukaschewski befragt, der bereits in der ANUAS-Themenwoche im November 2023 in Berlin zu diesem Thema Rede und Antwort stand. Insbesondere war auch wichtig zu erfahren, wie die Angehörigen von Tötungsdelikten zu behandeln sind. Immerhin sind sie Mit-Opfer und leiden ein Leben lang an diesen Folgen. Auf viele Fragestellungen ging der Fachmann bei der Themenwoche ein. NACHRICHTEN REGIONAL freut sich, dass unsere Redakteurin Dr. Manfred Lukaschewski für ein Interview zu diesem Thema gewinnen konnte.
NR:
Wo liegt die Schwierigkeit in der Ermittlungsarbeit, betrachtet unter dem Blickwinkel der Mit-Opfer?
Dr.ML:
Nun, die Erfahrung aus der Bearbeitung von vorsätzlichen Tötungsdelikten, also in der Regel der Mord und der Totschlag, besagt, dass 95 % dieser Verbrechen sogenannte Beziehungstaten sind. Das bedeutet, dass zwischen dem Opfer und dem oder den Täter(n) eine Beziehung bestand. Die Art der Beziehung ist weit gefächert. Das bedeutet aber auch, dass Angehörige zunächst immer Bestandteil des Verdächtigenkreises sind, und zwar solange, bis sie sicher ausgeschlossen werden können. Die Ermittler gehen vor allem in den ersten Stunden natürlich dementsprechend vor, stellen unangenehme Fragen. Dass dadurch der Aufbau eines vertrauensvollen Miteinander konterkariert werden, liegt auf der Hand.
NR:
Gibt es Möglichkeiten, dem entgegen zu wirken?
Dr.ML:
Im Rahmen der Ermittlungen im Komplex „Erster Angriff“ dürfte es schwierig sein. In der Folgezeit ist Information der Schlüssel, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu erlangen. Mit-Opfer sollten Bestandteil des Informationsflusses sein, natürlich immer nur soweit, wie es laufende Ermittlungen erlauben. Die Einrichtung eines Verbindungsoffiziers nur für derartige Fälle (also spezieller, als ein Presseoffizier) halte ich für dringend geboten.
NR:
Sind noch andere Möglichkeiten zu nennen, wo „Luft nach oben“ angemahnt werden muss?
Dr.ML:
Da fällt mir ad hoc die bisweilen oberflächliche Bearbeitung von Suiziden ein. Es ist nicht selten, dass die Einstufung eines unnatürlichen Todes in den Bereich -SUIZID- zu schnell und ohne gründliche Prüfung aller Umstände erfolgt. Dieses vorschnelle Festlegen hat ja zwei Seiten. Für die weitere polizeiliche Bearbeitung ergibt sich keine rechtliche Notwendigkeit … aber für die Mit-Opfer bleibt ein sehr unguter Zustand zurück. Oberflächliche Bearbeitung bedeutet, sich auf Informationen der unmittelbaren Inaugenscheinnahme des Geschehens zu stützen (gebräuchliche Suizid-Methode, geordnetes Vorfinden der persönlichen Dokumente, Abschiedsbrief usw.). Notwendiges Hinterfragen des Vor-Tat-Verhaltens wird, wenn überhaupt, mehr oder weniger nebenbei erledigt, der Abschiedsbrief wird selten oder nie dahingehend untersucht, ob tatsächlich das Opfer auch der Schreiber ist. Das ist bei weitem keine vollständige Aufzählung. Bleiben bei den Mit-Opfern Zweifel hinsichtlich des Suizides bestehen, sind diese ständige Begleiter des weiteren Lebens, auszuräumen geht im nach hinein nämlich nicht mehr.
NR:
… und wie kommen wir aus dieser Misere heraus?
Dr.ML:
Relativ einfach. Gut ausgebildetes Ermittlerpersonal in ausreichender Stärke, ist letztendlich eine Frage des politischen Willens.
Nachrichten-Regional bedankt sich bei Dr. Manfred Lukaschewski für die aufklärenden Worte und hofft, dass viele Leserinnen und Leser dieses Interview lesen. Bei dieser Gelegenheit dürfen wir nochmal aus sein Buch „Die Sprache der Toten“ aufmerksam machen, worin der Autor folgendes schreibt: „Wenn ein Mensch Opfer eines Tötungsdelikts wird, beginnt für die Ermittlungsbehörden ein Wettlauf mit der Zeit, denn je länger es dauert, den potentiellen Täterkreis einzugrenzen, desto komplizierter gestaltet sich die endgültige Aufklärung. Es ist ein Irrtum davon auszugehen, dass der Mensch als Leichnam nun für immer schweigt. Der Leichnam ist durchaus nicht verschwiegen und das geübte Auge kann mitunter die gesamte Geschichte des Tathergangs lesen, mitunter bis hin zur Preisgabe des Täters. Das Buch soll dem Kriminalisten und dem interessierten Laien die Sprache der Toten näherbringen, auch deshalb, weil sie oft un- oder missverständlich ist.
Über den Autor: Manfred Lukaschewski
Nach dem Abitur 1970 Physikstudium und 1974 Aufnahme der Tätigkeit bei der Kripo. 1979 bis 1983 nochmaliges Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit Abschluss Diplom-Kriminalist. 1984 Promotion. Autor von mehreren Büchern, u.a. „Stolpersteine der Kriminalistik“, „Kriminalistik – eine Bestandsaufnahme“ sowie „Phänomenologie einer Strafsache“, Letzteres beschreibt den Inhalt wie folgt: „Vom Tatort an und den dort vorhandenen Spuren bis hin zu der Feststellung, dass ein Tötungsdelikt nicht ausgeschlossen werden kann, bietet dieses Buch alles, was Kriminalisten und Rechtsmediziner benötigen und beachten müssen. Es werden die vielfältigen Mittel und Methoden dargestellt, die es erlauben, Tötungsdelikt von Suizid zu unterscheiden. Sie geben dem Kriminalisten das notwendige Handwerkszeug, um eine etwaige Todeszeitbestimmung vornehmen zu können und zeigen die vielfältigen Möglichkeiten der Kriminaltechnik sowie Rechtsmedizin auf. Dieses Grundlagenwissen ist eine der Grundvoraussetzungen, um Kapitalverbrechen effektiv aufklären zu können. Ein Lehrbuch für Kriminalistik, Jura und Rechtsmedizin“.